Von Herzen Geschrieben

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Long Covid - Ein Tagebuch, Teil 1

Du lieber Herzensmensch,

Es ist für mich gerade gar nicht so leicht, dass Leben zu genießen und gleichzeitig anzuerkennen, dass manche Dinge (viele Dinge) gerade einfach eklig schmecken und riechen. So wie der Kaffee auf dem Foto. Den habe ich an den Herzensmann weitergereicht, weil er einfach zu eklig war. Ich will nicht jammern, nicht auch hier, denn das könnte ich den lieben langen Tag. Weil ich mein Umfeld auch nicht immer damit belasten will, dass alles für mich eklig riecht (inklusive mir selbst) und genauso auch schmeckt. Doch ist es jammern, wenn man seine Wahrheit spricht? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich nicht alles runterschlucken kann. Ich muss darüber reden, und noch viel mehr will ich darüber schreiben…weil schreiben nun mal für mich Heilung bringt. Und um Heilung geht es nun mal. Die Heilung der Corona Infektion, der Long Covid Folgen.

Vieles was gerade in meinem Inneren passiert, erinnert mich an eine Zeit, die mehr als zehn Jahre zurück liegt. Eine Zeit in der es mir überhaupt nicht gut ging. So viele negative Gedanken, so viel Selbsthass, so viel Zweifel. Und vor allem eins: das Gefühl alleine zu sein. Alleine zu sein mit dem was ich gerade durchmache. Das dachte ich damals auch. Ich dachte, ich wäre der einzige Mensch auf der ganzen Welt, dem es so ging. Dem war natürlich nicht so, doch es ist gerade in schwierigen Zeiten nicht einfach Gleichgesinnte zu finden… weil über die schweren Sachen niemand so wirklich spricht. Damals nicht, heute nicht.

Vor zwei Tagen bin ich über ein Instagram Profil gestolpert, bei dem die Person über ihre Erfahrung spricht was die Long Covid Folgen angeht und insbesondere dem Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn. Weißt du was ich in dem Moment fühlte als ich den Beitrag las? Pure Erleichterung. Erleichterung, weil ich sehen konnte, dass ich irgendwie doch nicht alleine mit meinen Problemen war. Diese fremde Person gab dem ganzen sogar einen Namen...den ich natürlich schon wieder vergessen habe. Ist auch egal, denn eine Ärztin kann mir das diagnostizieren, ich bin eine Laie, ich kann es sowieso nicht. Doch zu wissen, dass es da draußen einen Namen für das ganze gibt...das war befreiend.

Noch viel mehr das Wissen, dass ich nicht die einzige da draußen bin, die gerade fast keinen Kaffee mehr trinkt, weil er einfach widerlich ist. Die von sich selber denkt, sie würde wie ein ekliges bäh stinken. Die duschen nicht mehr genießen kann, weil es einfach nur eklig riecht. Die den Geschmack von Fisch und manchem Fleisch nicht mehr ertragen kann. Die Angst hat, Angst davor, dass es so bleibt. Die sich nicht anerkennt fühlt, weil der Schmerz nicht für andere sichtbar ist. Weil es nun mal nicht den Alltag einschränkt. Was überhaupt nicht stimmt. Denn es schränkt den Alltag ein. So was von. Nur vielleicht eben nicht so sichtbar wie es Lungenprobleme oder Asthma es als Folgen täten. Ist das eine jetzt schlimmer als das andere? Ich glaube nicht. Aber überzeug dein Ego mal selber davon, dass auch “nur” ein Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn durchaus nicht “normal”, sondern schwer für einen sind. Auch wenn die Folgen für das Außen nicht wirklich sichtbar sind. Gar nicht so leicht. Allerdings, vor ein paar Tagen wurde es sichtbar. Zwar nicht der Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn, aber die Konzentrationsprobleme, die ich bemerke. An der Arbeit schrieb ich einen Absatz von vier bis fünf Sätzen…und haute so viele Rechtschreibfehler rein wie nie zuvor. Das ist gar nicht Ronja like. Auch hier in diesem Beitrag vielen mir schon viele Fehler auf…vielleicht sind da auch noch mehr, die ich gar nicht mehr sehen kann. Da wird es plötzlich sichtbar. Genauso wenn ich andauernd meinen Faden verliere und gar nicht mehr weiß womit ich mit meinen Erzählungen hinaus wollte. Oder falsche Sachen sage. Da merkt man es dann doch. Mein Ego macht es mir damit jedoch schwer, will mir einreden, dass ich es einfach besser machen muss. Mich mehr konzentrieren muss. Mir mehr Mühe geben muss. Doch ich gebe mir Mühe, ich gebe mein Bestes, ich bin konzentriert. Es ist jetzt gerade nur einfach nicht mehr drin.

Damit hadere ich. Und ganz ehrlich noch mit so viel mehr. Ich habe im letzten Beitrag und in der letzten Episode Von Herzen Gesprochen davon geredet wieder zurück zu den Anfängen zu gehen. Als zum Schreiben von Herzen, ohne Plan, ohne Hintergedanken, ohne Algorithmus noch Alltag waren. Das versuche ich. So wie jetzt wo ich eigentlich am Küchentisch saß und Cracker snackte, die erstaunlicherweise ganz okay geschmacklich waren (also alles was nicht eklig ist, ist schon echt mega gut), und plötzlich spürte wie die Worte flossen. Ich dachte nur für Instagram, doch dann merkte ich, dass es nicht nur für ein kleines Quadrat bestimmt ist. Nein, es war für Von Herzen Geschrieben bestimmt. Denn genau dafür habe ich ja überhaupt diesen Blog gegründet. Für Geschichten von Herzen. Meine Geschichte. Und Teil dieser ist nun mal, dass ich seit dem 24.12.2020 nicht mehr richtig schmecken und riechen kann. Dass ich darunter leider und unter noch ganz anderen Long Covid Folgen. Dass ich gerade eine Zeit durchmache, die nicht zu den Schönsten zählt. Dass es mir gerade nicht gut geht, denn das habe ich dankenswerterweise vor einer Weile erkannt.  

 

Es ist okay. Denn es ist nur eine Phase und jede Phase geht vorbei.

 

... zumindest klammere ich mich an diesen Spruch wie ein Rettungsring. Lasse mich von ihm über Wasser halten - vor allem wenn mal wieder alles so richtig stinkt 😉 Den konnte ich mir jetzt nicht verkneifen. Und wenn du mir schon lange folgst, dann weißt du, dass ich eine Optimisten bin und mich durch harte Zeiten kämpfe und meist voller Erkenntnisse aus ihnen hervor gehe. So wird es auch dieses Mal sein, darauf vertraue ich.

 

Von Herzen geschrieben,

Ronja